(20.12.2024) In Schweden findet die Polizeiausbildung an fünf öffentlichen Hochschulen statt, verteilt auf die Standorte Malmö, Borås, Växjö, Stockholm und im nördlich gelegenen Umeå. Besonders beeindruckt hat mich der noch relativ neue Ausbildungsstandort in Borås, der erst 2019 eröffnet wurde. Hier wurden die Unterrichts- und Übungsräume von den Dozierenden selbst entworfen und nach ihren Vorstellungen umgesetzt. So finden die angehenden Polizistinnen und Polizisten realitätsnahe Übungsräume vor, die ganze Wohnungen, eine Bar, einen Supermarkt und einen Kiosk umfassen – derzeit werden noch weitere Räumlichkeiten gebaut. Für die zahlreichen Rollenspiele werden sogar externe Schauspieler engagiert, die ein breites Spektrum an Situationen simulieren: von Jugendlichen aus Problembezirken, um authentische Jugendsprache und Konflikte darzustellen, bis hin zu Senioren, die etwa psychische Erkrankungen glaubwürdig vermitteln.
Zwei statt drei Jahre Studium
Die Ausbildung erstreckt sich über vier Semester, also zwei Jahre, und kann sowohl als Präsenz- als auch als Fernstudium absolviert werden. Bemerkenswert ist, dass das Fernstudium bereits vor der COVID-19-Pandemie eingerichtet wurde und asynchrone Lerneinheiten mit Zoom-Sitzungen kombiniert. Alle fünf Wochen kommen die Fernstudierenden für eine Woche auf den Campus, um an den intensiven praktischen Übungen teilzunehmen, die Schießübungen, Eingriffstechniken und Einsatztraining umfassen. Nach diesen zwei Jahren beginnen die Absolventinnen und Absolventen als "Aspirantinnen" auf den Wachen, begleitet von erfahrenen Kolleginnen und Kollegen – ein System, das dem Praktikum in Deutschland ähnelt, jedoch erst nach dem Studium stattfindet. Während dieses sechsmonatigen Praktikums erhalten die Anwärterinnen und Anwärter ihr erstes Gehalt in Höhe von 15.000 SEK.
In Schweden gibt es keine Unterscheidung in der Polizeiausbildung wie etwa zwischen dem mittleren und dem gehobenen Dienst. Alle müssen eine Hochschulzugangsberechtigung haben. Interessanterweise ist das Durchschnittsalter der Studierenden höher als in Brandenburg, vor allem im Fernstudium. Die Altersgrenze beginnt bei 19 Jahren, aber nach oben sind keine Grenzen gesetzt – der älteste Absolvent war 57 Jahre alt. Während des Studiums wird kein Gehalt gezahlt, aber es besteht die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung durch ein staatliches Darlehen oder Äquivalent zum deutschen BAföG zu beantragen. Es ist zudem üblich, dass die Studierenden nebenbei arbeiten oder während der dreimonatigen Semesterferien etwa in der Kriminalpolizei oder in Gewahrsamszellen aushelfen.
Ein weiteres überraschendes Detail ist die Toleranz gegenüber Tattoos: Tätowierungen, auch am Hals und an den Unterarmen, sind hier nicht nur erlaubt, sondern auch unter Studierenden und Dozierenden weit verbreitet. Die Studierenden verbringen maximal 25 Stunden pro Woche im Präsenzunterricht, während die restliche Zeit für Selbststudium und Gruppenarbeit vorgesehen ist. Einige praktische Übungen wie Festnahmen oder Verbringungen werden nicht draußen, sondern in Innenräumen geübt. Gründe dafür sind die oft schwierigen Wetterbedingungen und der ungesicherte, frei einsehbare Trainingsbereich. Um die Privatsphäre zu wahren, sind die dozierenden Polizeibeamten und -beamtinnen immer in Uniform und bewaffnet, während die Studierenden auf dem Trainingsgelände ebenfalls Uniform tragen – im Vorlesungssaal jedoch Zivilkleidung.
Eindrucksvoll war auch die technische Ausstattung: Im Ausbildungsgebäude selbst befinden sich Autos, die mit einem Kran dort hinein transportiert wurden, um Übungen direkt vor Ort durchzuführen. Zusätzlich stehen den Anwärterinnen und Anwärtern Schießsimulatoren zur Verfügung, die in speziellen Räumen für Trockenübungen installiert sind, inklusive Tutorialvideos für präzises Training. Natürlich gibt es auch eine Schießhalle und einen Simulationsraum, in dem das korrekte Verhalten beim Schusswaffengebrauch geübt wird, inklusive der Kommunikation in solchen Situationen. Auch die Nutzung eines Funkgeräts wird trainiert, und im zweiten Lehrjahr erhält jeder Studierende ein Dienst-iPhone, das bei Rollenspielen zur Dokumentation und Kommunikation genutzt wird, etwa bei simulierten Einsätzen zu häuslicher Gewalt.
Die Herbsteinstellung 2022 in Borås umfasste vier Präsenz- und vier Fernstudienklassen mit jeweils 24 Studierenden. Die Frauenquote lag im Präsenzstudium bei 41 % und im Fernstudium bei 31 %. Die Altersverteilung war ebenfalls interessant: Während die Präsenzstudierenden im Durchschnitt 25 Jahre alt waren, lag das Durchschnittsalter der Fernstudierenden bei 31 Jahren – insgesamt bewegte sich die Altersspanne von 19 bis 57 Jahren.
Die Module der Ausbildung sind thematisch geordnet. So gibt es beispielsweise das Modul "Gewalt in nahen Relationen", das häusliche Gewalt und ähnliche Themen abdeckt, oder das Modul "Einsätze mit psychisch kranken Personen". Diese Module beinhalten sowohl Vorlesungen von Expertinnen und Experten der medizinischen Fakultät als auch Seminare, in denen die rechtlichen und einsatztechnischen Grundlagen besprochen werden. In sogenannten Kombiübungen werden die Studierenden dann gefordert, realitätsnahe Szenarien zu meistern: Sie müssen an Türen Stellung beziehen und auf unterschiedliche Situationen reagieren, die von bewaffneten oder emotional aufgebrachten Schauspielerinnen und Schauspielern dargestellt werden. Auch das Leisten von Erster Hilfe gehört zu den Übungen.
Übungsszenario mal anders
Das vielleicht eindrucksvollste Übungsszenario, das ich miterleben durfte, war eine Übung zu lebensbedrohlichen Lagen. Hierbei wurden zwei Szenarien durchgespielt: Ein Bus, in dem es zu einer Messerstecherei kam und der gesichert werden musste, und eine Schießerei in einer Bar – eine realitätsnahe Nachstellung eines tatsächlichen Vorfalls in Göteborg. Hier war das Ziel, nicht nur den Täter zu neutralisieren, sondern auch verletzten Menschen erste Hilfe zu leisten, was den Ernst und die Dramatik solcher Situationen beeindruckend vermittelte.
Zusammenfassend war mein über das Erasmus+ Programm geförderter Besuch in Schweden ein beeindruckender Einblick in eine moderne, praxisnahe Polizeiausbildung, die durch realistische Szenarien, fortschrittliche Technik und ein hohes Maß an Authentizität überzeugt.
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