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Wissen Sie, was Cybergrooming ist?

Am 25. Januar wird Professor Thomas-Gabriel Rüdiger als Experte zum Thema Cybergrooming im Deutschen Bundestag sprechen. Im Gespräch erläutert er, was Cybergrooming überhaupt ist und worin seine Rolle als Experte in der Kommission besteht.

Herr Rüdiger, sie sind durch die Kinderkommission des Deutschen Bundestages als Experte geladen worden: Was ist die Kinderkommission und welchen Zweck verfolgt sie?
Die Kinderkommission des Deutschen Bundestages, die sich aus Bundestagsabgeordneten der verschiedenen Parteien zusammensetzt, hat zum Ziel, die Interessen von Kindern in politischen Prozessen und damit auch in der Gesetzgebung zu stärken. Leider ist das meiner Einschätzung nach auch notwendig, denn nicht umsonst heißt es häufig, dass Kinder „keine Lobby“ hätten.

Zu welchem Thema sprechen Sie ganz konkret?
Ich bin als Experte zu Cybergrooming und allgemein zum digitalen Kinderschutz eingeladen. Das umfasst bei mir auch immer Fragen rund um die digitale Polizei- und Präventionsarbeit sowie kriminalwissenschaftliche Einordnungen.

Cybergrooming, was ist das überhaupt?
Cybergrooming kann als die onlinebasierte Anbahnung oder Intensivierung eines sexuellen Kindesmissbrauchs definiert werden. Das bedeutet, dass Täter und Tärerinnen über digitale Kommunikationsmöglichkeiten auf Kinder einwirken und sich diesen annähern. Die Ziele und Vorgehensweisen sind dabei different. Es gibt solche, denen es darum geht, dass Kinder ihnen pornographischen Medien von sich senden oder sich per Videostream mit ihnen verbinden. Diese Tätergruppe hat unterschiedlichste Vorgehensweisen von Drohungen über Schmeicheleien bis zu Bestechungen. In Österreich stand 2022 ein über 50-jähriger Täter vor Gericht, der sich in Videos erfolgreich als 16jähriges Mädchen ausgegeben und so über 600 Jungen dazu gebracht hatte, ihm Bilder zu senden. Dies zeigt auch den Umfang der Opferzahlen und wie Täter und Täterinnen moderne Techniken wie Deepfakes einsetzen. Es gibt aber auch Fälle, bei denen der Aufbau von regelrechten langfristigen „Missbrauchsbeziehungen“ zu Kindern überwiegt. Diesen Täterinnen und Tätern geht es verstärkt auch um Treffen im analogen Raum, um sexuelle Gewalt an den Kindern auszuüben. Für die Strafbarkeit ist es dabei unerheblich, ob ein Kind überhaupt die Intention des Gegenübers versteht, es braucht auch keine sexualisierten Nachrichten oder Ähnliches. Es kommt nur auf die Motivation der Täter oder Täterinnen an.

Ist Cybergrooming ein großes Problem?
Man muss klar sagen, dass Cybergrooming eines der größten Risiken für Kinder im digitalen Raum ist und teilweise eine „Normalität“ darstellt. Eine Studie der LFM NRW hat jüngst erhoben, dass mittlerweile jedes fünfte Kind zwischen acht und neun Jahren, das im digitalen Raum unterwegs ist, von Kontaktanbahnungen durch Erwachsene berichten kann. Minderjährige als Tatverdächtige wurden hier noch nicht einmal abgefragt, machen aber knapp die Hälfte der Tatverdächtigen aus. Insgesamt berichten ein Viertel aller Minderjährigen von der Konfrontation mit Cybergrooming. Ein absolutes Massenphänomen, und die Gesellschaft versagt bisher dabei, Kinder vor diesem Risiko effektiv zu schützen. Persönlich gehe ich davon aus, dass vermutlich fast jedes Kind, das im digitalen Raum unterwegs ist, das Risiko hat, mit Cybergrooming konfrontiert zu werden. Daher mein Appell an alle Eltern ihre Kinder über diese Risiken aufzuklären, und zwar so früh wie möglich! Aber spätestens, wenn die Kinder ein Smartphone erhalten.

Was ist nun ihre Aufgabe als Experte in der Kommission?
In der Vergangenheit hatte ich bereits die Möglichkeit, als Experte die Kommission zu beraten. Meist stellt man dabei zunächst seine eigene Expertise und Positionen zu dem Thema vor und steht dann den Kommissionsmitgliedern für ihre Fachfragen zur Verfügung. Daraus entstehen üblicherweise wiederum Stellungnahmen der Kommission und im Bestfall spiegelt es sich in Gesetzgebungsprozessen wider. Im Rahmen dieser Sitzung geht es sicherlich primär darum, Ansätze zu finden, wie Kinder vor Cybergrooming geschützt werden können und zu erkennen, wie konkret der Umfang des Phänomens ist.   

Welchen Standpunkt werden Sie in der Kommission vertreten?
Ich werde zwei Standpunkte vertreten. Der erste ist, dass Cybergrooming kein singuläres Phänomen ist, sondern es ein Spiegelbild eines relativ unkontrollierten digitalen Raums ist. Daher kann es nicht nur um die Bekämpfung von Cybergrooming gehen; es muss die Erhöhung der generellen Sicherheit im digitalen Raum im Mittelpunkt stehen. Der zweite Standpunkt ist, dass wir daher eine Form einer digitalen Generalprävention brauchen, die also zum Ziel hat, den digitalen Raum zu regulieren und gleichzeitig alle Schutzmechanismen zu kombinieren.  

Denn es ist nicht nur Aufgabe der Eltern, ihre Kinder für den digitalen Raum vorzubereiten. Es ist Aufgabe der Gesellschaft, den digitalen Raum auch für Kinder sicherer zu machen. Man muss auch beachten, dass nicht alle Eltern die Fähigkeiten und Kenntnisse besitzen, um ihnen Medienkompetenz zu vermitteln. Es gibt nur eine staatliche Institution, an der wir Kinder auf solche Risiken unabhängig vom Elternhaus vorbereiten können: die Schule. Deshalb müssen wir ab dem Moment, in dem Kinder bereits Smartphones erhalten – also leider bereits ab der 1. Klasse – ihnen auch Medienkompetenz vermitteln. Das passiert bis heute nicht wirklich strukturiert. Gleichzeitig sind aber auch die Polizei und die Justiz gefragt. Der digitale Raum wird nicht selten immer noch als ein rechtsfreier Raum wahrgenommen, und im Bereich Cybergrooming haben Täter und Täterinnen teilweise nur eine geringe Angst vor Strafverfolgung. Hier braucht es beispielhaft bundesweite dauerhafte polizeiliche Scheinkindoperationen, bei denen sich Polizistinnen und Polizisten als Kinder im Netz ansprechen lassen, um Täter und Täterinnen proaktiv zu überführen.
Knapp die Hälfte der Tatverdächtigen ist aber auch selbst minderjährig, so wie im Bereich der kinderpornographischen Inhalte. Hier müssen wir verstärkt auf Kriminalprävention und Aufklärung setzen, anstatt in Zukunft eine Vielzahl an Ermittlungsverfahren führen zu müssen. Auch sollten wir Kindern klare und altersangepasste Kommunikations- und Hilfsmöglichkeit im digitalen Raum zur Verfügung stellen. Ich denke da an eine Art Kinderonlinewache, die bundesweit betrieben wird und an die sich Kinder im Netz rund um die Uhr wenden können, um Hilfe zu holen.


Warum ist es wichtig, dass in solchen Kommissionen auch Expertinnen und Experten gehört werden?
Gerade kriminalpolitische Entscheidungen stehen nicht selten im öffentlichen Interesse und unterliegen damit auch eigenen politischen Regeln. Daher braucht es auch klare kriminalwissenschaftliche Einordnungen für die Politik, um fachgerechte Entscheidungen zu treffen und deren unmittelbare Auswirkungen auf die Praxis zu verstehen. Aus meiner Sicht ist es dabei sinnvoll, dass die Politik Fachexpertinnen und -experten für die unterschiedlichen Themenfelder anhört und sich mit diesen austauscht.  
 
Hintergrund
Thomas-Gabriel Rüdiger koordiniert im Masterstudiengang das Modul „Cybercrime“ (Modul 8). Dieses umfasst auch die Auseinandersetzung mit kriminalwissenschaftlichen Debatten rund um Fragen der digitalen Gesellschaft. Einen aktuellen Schwerpunkt gibt es im Modul zudem auf digitale Sexualdelikte – wie Cybergrooming und auch auf den Bereich der kinder- und jugendpornographischen Inhalte – aber auch auf die kriminalpräventiven Möglichkeiten diesen zu begegnen.     

 

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